Aus dem Buch Wie wir wurden, wer wir sind  (Hrsg. Nothart Rohlfs),

Verlag Urachhaus, Stuttgart, 1999, S. 74-87

Jan Erik Sigdell

Rückführung und Reinkarnationstherapie – worum geht es und worauf kommt es an?

Lassen Sie mich einleiten mit einem kleinen geschichtlichen Rück­blick darauf, wie es ursprünglich dazu kam, dass heute Rückfüh­rungen vorgenommen werden. Es begann im Westen. Manche Menschen vermuten den Ursprung im Osten, weil dort – in Hin­duismus und Buddhismus – der Reinkarnationsgedanke heute noch lebendig ist. Das ist jedoch nicht richtig. Die Rückführungs­techniken beruhen auf einer von östlichem Gedankengut gänzlich unabhängigen Entdeckung und Entwicklung bei uns im Westen.

Es fing damit an, dass im 19. Jahrhundert viel mit Hypnose expe­rimentiert wurde und dabei gelegentlich bei denjenigen, die in Hypnose versetzt wurden, ein merkwürdiges Phänomen beobach­tet werden konnte. Diese benahmen sich nämlich manchmal wie völlig andere Menschen, als sie eigentlich waren. Sie verhielten sich beispielsweise, als lebten sie in einem anderen Land, in einer ande­ren Zeit und als gehörten sie vielleicht sogar dem anderen Ge­schlecht an. Die Schulwissenschaft konnte das überraschende Phä­nomen nicht erklären; es wurde von ihr als »hypnotische Halluzi­nationen« abgetan und war damit für sie im Wesentlichen erledigt.

Wenige Menschen nur nahmen es ernster und setzten sich damit auseinander. Der Erste, der diesbezüglich geschichtlich erwähnt ist, war ein russischer Prinz namens Galitzin, der in Hessen lebte und sich sehr für Hypnose interessierte. Eines Tages unternahm er mit einer ungebildeten hessischen Frau, die kein Wort französisch sprach, ein hypnotisches Experiment. Dabei war es nicht seine Ab­sicht, sie in ein früheres Leben zu führen, das geschah vielmehr ganz von selbst. Sie fing plötzlich unter Hypnose an, perfekt französisch zu sprechen. Und da Prinz Galitzin Französisch be­herrschte, war dies für ihn kein Problem, er unterhielt sich mit ihr auf Französisch.

Sie erzählte ihm nun, welchen Umständen sie es zu verdanken hatte, dass sie solch ein elendes Leben in Hessen führte. Dies bilde­te die karmische Folge, so würden wir heute sagen, obwohl der Begriff damals nicht verwendet wurde, eines vorangegangenen Le­bens im 18. Jahrhundert, das sie als französische Adelsdame verlebt hatte. Damals, so berichtete sie, hatte sie arme, einfache Menschen verachtet und habe es darum heute nötig, am eigenen Leibe zu erfahren, was es heiße, unter solch ärmlichen und mühseligen Um­ständen zu leben. Die Betreffende hatte in ihrem aktuellen Leben auch ein sexuelles Trauma hinter sich, da sie eine Zeit lang Prostitu­ierte gewesen war. Das habe damit zu tun, so sagte sie unter Hyp­nose, dass sie in ihrem adligen Leben in Frankreich einen Geliebten gehabt habe und mit diesem leben wollte. Um den eigenen Ehe­mann loszuwerden, habe sie damals einen Unfall arrangiert, bei dem ihr Mann starb. Die Welt glaubte an einen Unfall.

Nun, der Prinz nahm, was da auftauchte, ernster als die meisten anderen und reiste zu jenem Ort, von dem die Frau behauptete, dass sie dort gelebt habe. Er stellte dort entsprechende Nachfor­schungen an und befragte alteingesessene Bewohner in dieser An­gelegenheit, mit dem Ergebnis: Ja, die Geschichte hatte sich so zu­getragen. Die bezeichnete Adlige hatte dort gelebt, und der arran­gierte Unfall hatte ebenfalls stattgefunden. Dies war der erste Fall, der recherchiert, geprüft und bestätigt wurde. Die Untersuchung stammt aus dem Jahr 1862.

Die nächste historisch bekannte Persönlichkeit, die Rückfüh­rungen durchführte, unternahm diese, soweit das bekannt ist, ganz gezielt und absichtlich, was bei Galitzin noch nicht der Fall war. Es handelt sich um einen spanischen Spiritisten, Colavida, der von der Reinkarnation überzeugt war und Hypnoseversuche vornahm in der Absicht, Menschen in frühere Existenzen zurückzuversetzen. Über seine Arbeit ist wenig bekannt, Aufzeichnungen oder Mittei­lungen sind nicht erhalten geblieben. Dagegen hat sich viel erhalten von den Forschungen einer weiteren Persönlichkeit in der Geschichte der Rückführungen, dem Franzosen Albert de Rochas. Er war Offizier und Spiritist, interessierte sich ebenfalls sehr für Hyp­nose und unternahm gezielt hypnotische Rückführungen. Er hat viel über seine Untersuchungen geschrieben in dem 1911 in Paris erschienenen Buch Les vies successives – Die auf einander folgenden Leben, dem ersten Buch zu diesem Thema.

Weiter gab es in Schweden, wo ich selbst geboren bin, eine Per­sönlichkeit, die eine wichtige Rolle spielte in der Geschichte der Rückführungen, und die sich eingehend mit dem Thema befasst hat, das war John Björkhem. Diese außergewöhnliche Persönlich­keit verfügte über paranormale Fähigkeiten und ist wahrscheinlich bis heute der einzige Mensch in Schweden, der so viele akademi­sche Titel erwarb: er habilitierte sich in Philosophie und Theologie, promovierte in Medizin und arbeitete als Psychiater in Stockholm. Seine philosophische Habilitationsschrift, die 1942 auf Schwedisch erschien und nie in eine andere Sprache übersetzt wurde, trägt den Titel Die hypnotischen Halluzinationen [De hypnotiska hallucinationerna], Björkhem besaß eine außerordentliche Fähigkeit, Men­schen in Hypnose zu versetzen, und widmete viel seiner For­schungstätigkeit der Hypnose. In seiner Habilitationsschrift be­schreibt er eine Reihe von Experimenten, in denen er der Versuchs­person die Anweisung gab: Jetzt gehst du zurück zu einer Zeit vor deiner Geburt. Praktisch ausnahmslos wurde dem Folge geleistet, und es traten die anfangs angedeuteten Phänomene auf. Er bezeich­net diese als Pseudohalluzinationen und fügt in seiner Abhandlung vorsichtshalber hinzu, er wolle nicht erklärend Stellung beziehen zu dem Aufgetretenen, dazu sei der Wissensstand noch zu gering. Es solle nur das Phänomen und dessen Struktur als solches darge­stellt werden. Es war wohl weise, so zu verfahren, denn die Habili­tationsschrift wäre damals wohl nicht angenommen worden, hätte Björkhem sich zum Reinkarnationsgedanken bekannt. Das hat er jedoch nie getan. Wir wissen nicht, ob er an die Reinkarnation glaubte. Die von ihm gegebene Suggestion war jedenfalls eindeutig: Geh zurück zu einer Zeit vor deiner Geburt.

Eine ebenfalls wichtige Person in unserem Zusammenhang ist der Amerikaner Morey Bernstein, der das bekannte Buch über den Fall Bridey Murphy geschrieben hat. Das Buch ist deshalb histo­risch von Bedeutung, weil es bei seinem Erscheinen im Jahr 1956 zum ersten Mal in einer größeren Öffentlichkeit bekannt machte, dass es solche Phänomene überhaupt gibt, wie sie bei Rückführun­gen zutagetreten. Vorher war das eher etwas, das man in Fachkrei­sen kannte und bei Menschen, die sich mit Hypnose befassten, aber in der Öffentlichkeit wusste man kaum, dass Derartiges existierte. Nun wurde das durch dieses Buch, das auf Deutsch den Titel Pro­tokoll einer Wiedergeburt trägt, plötzlich weitgehend bekannt. Es weckte große Aufmerksamkeit und verursachte sehr viel Aufre­gung und Gegnerschaft: In freireligiösen Kreisen wurde es als Teu­felswerk bekämpft, in wissenschaftlichen Kreisen als Humbug. Man versuchte, es zu entlarven, aber das gelang nicht sehr überzeu­gend. Übrig blieb der positive Anstoß für Menschen, die sich dafür interessierten, sich selbst mit der Sache eingehender zu beschäfti­gen. Und dann ging es in den sechziger Jahren, z.T. veranlasst durch dieses Buch, erst recht los mit dem Praktizieren von Rück­führungen. Zunächst kannte man kein anderes Mittel zu deren Durchführung als das der Hypnose. In Deutschland und anderen Ländern Europas, in Australien und Amerika begann man in den sechziger Jahren Rückführungen vorzunehmen und entdeckte mit der Zeit, dass dies auch ohne Hypnose möglich war. Es entstanden nicht-hypnotische Techniken.

Nun lässt sich das vielleicht nicht so streng voneinander trennen – ich trenne es jedoch rein sprachlich. »Hypnos« bedeutet Schlaf. Und ist das Bewusstsein der Person, das heutige Tagesbewusstsein, nicht mehr oder weniger eingeschläfert, so handelt es sich m.E. nicht um Hypnose, da die Bezeichnung dann nicht zutrifft. Wohl liegt ein veränderter Bewusstseinszustand vor, das Bewusstsein ist jedoch nicht eingeschläfert; es ist wach bei den entsprechenden Erlebnissen dabei.

Die Technik nun, die ich selbst verwende, wurde entwickelt von Bryan Jameison. Ich wurde 1979 in Denver mit ihm bekannt, wo er damals lebte, und erlernte seine Methode von ihm, die ich seit 1980 praktiziere und auch weitervermittle und lehre. B. Jameison wurde 1933 in Chicago geboren, wuchs auf in einer materialistischen, eher agnostischen Umgebung und stellte sich kaum Fragen der Art, ob es einen Gott gibt, welchen Sinn das Leben haben könnte und dergleichen, bis er 1964 ein tiefes psychisches Trauma erlebte. Wir wissen aus der Psychologie, dass sich so gut wie jeder, der durch ein psychisches Trauma geht, verändert. Und manche Leute verändern sich positiv. Es kann etwas erwachen, das vorher in uns schlum­merte. Und so war es bei ihm. Sein Interesse für geistige Fragen wurde geweckt, innere Fragen nach einem Sinn des Daseins stellten sich ein. Er begann sich z.B. mit Fragen der Gerechtigkeit zu be­schäftigen: Warum gibt es so viel Ungerechtigkeit in der Welt? Wenn wir herumschauen, sehen wir nur allzu oft, wie es der gute Mensch schwer hat und der gewissenlose Schuft ein Leben im Wohlstand führt. Wie kann das gerecht sein? Oder wir sehen allzu oft, wie Kinder nur Leid erleben. Wir haben das in den letzten Jahren in nächster Nähe in Bosnien erlebt, all die Kinder, die von vergewaltigten Frauen geboren werden und schon im Mutterleib gehasst werden. »Weg mit dem Kind«, sagt die Mutter, wenn es geboren ist, »ich will es nicht sehen«. Ein furchtbares Leid für diese Kinder, keine Liebe zu bekommen, in Heimen aufzuwachsen. Es gibt jede Menge solcher Kinder in der Welt. Was wir im Fernsehen sehen oder in der Zeitung lesen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Kinder, die nichts anderes erleben als Leid, ja, was haben sie denn getan, hat sich Bryan gefragt, da ihnen nichts anderes gegeben wird?

Fragen wir die Kirche, so ist die allgemeine Meinung des kirchli­chen Dogmas: Du hast nur dieses eine Leben, das wird auf ewige Zeit entscheiden, ob du in den Himmel oder in die Hölle kommst. Ja, wie kann das gerecht sein, hat er sich gefragt, wo doch die Voraussetzungen derart unterschiedlich sind? Ein Kind wird in eine evangelische Pfarrersfamilie hineingeboren und hat im Sinne dieser Anschauung die besten Voraussetzungen, in den Himmel zu kommen. Eine anderes Kind landet auf der Straße, in São Paulo zum Beispiel. Ein Riesenproblem, all die Kinder, die in Gewalt, Prostitution und Drogenmissbrauch hineingezogen werden; diese Kinder haben ja keine wirkliche Chance! Wozu werden sie denn aber geboren, wenn ihnen keine echte Chance gegeben wird? Sind sie prädestiniert für die Hölle?! Was hätte denn das für einen Sinn?

Das waren Fragen, die Bryan beschäftigten. Er stieß dann auf das Buch von Bernstein über den Fall Bridey Murphy, las es und hat sich gesagt: Ja, das könnte eine mögliche Antwort sein, die Re­inkarnation. Wenn es die gibt, und das eine Leben nur ein Aus­schnitt ist aus einem viel längeren Weg einer Seele, und wenn wir das eine Leben in einem Zusammenhang sehen könnten mit ande­ren Leben, dann würden wir vielleicht doch Gerechtigkeit erken­nen. So kam es dazu, dass er nun selbst eine Rückführung erleben wollte. Er traf eine Frau namens Anne Spalding, die eine einfache, nicht-hypnotische Technik verwendete, und erlebte seine erste Rückführung. Er fand sich als Schmied in Holland vor ein paar hundert Jahren, wo er ein sehr ärmliches Leben führte. Das endete recht früh damit, dass er eine Reparatur vornehmen sollte in einer Windmühle und ihm dabei ein Balken auf den Kopf fiel, der ihn erschlug.

Nun wollte der sogenannte Zufall es, dass Bryan einige Monate nach dieser Rückführung aus Geschäftsgründen zum ersten Mal im jetzigen Leben nach Holland reisen sollte. Da gibt es alte Wind­mühlen, die als historische Denkmäler aufbewahrt werden, und einige davon hat er besichtigt. Er staunte darüber, wie viel Ähnlich­keiten da vorlagen mit dem, was er in der Rückführung gesehen hatte. Und es überzeugte ihn einigermaßen davon, dass er wohl tatsächlich jener Schmied gewesen sein musste. So begann er selbst, als er wieder zurück war in Amerika, mit der Methode von Anne Spalding Rückführungen durchzuführen und erste Erfahrungen zu sammeln. Die angewandte Methode erwies sich dabei als nicht be­sonders erfolgreich, und Bryan sagte sich: Ich werde einen besseren Weg finden. Und ihm kam eine Idee, die er ausarbeitete, und die im Jahre 1968 zu seiner Methode führte, welche ich elf Jahre später bei ihm kennen und auszuüben lernte.

Mit der Zeit wurde dann entdeckt, dass Rückführungen sehr hilfreich sein können. Die Leute kamen aus dem Erlebnis heraus und hatten zum Beispiel ihre Ängste, ihre Phobien nicht mehr. Das hat man dann aufgegriffen, und so entstand die sogenannte Reinkarnationstherapie, deren Bezeichnung allerdings nicht sehr glücklich gewählt ist, da die Rückführung nicht notwendigerweise in ein früheres Leben führen muss. Sie führt manchmal in ein Kind­heitstrauma oder eventuell sogar in ein Trauma im Mutterleib. Vie­le Menschen erleben in Rückführungen die im Mutterleib ver­brachte Zeit. Nicht immer also treten Eindrücke aus früheren Le­ben auf.

Es scheint mir allerdings, dass es sich oft – wenn auch sicher nicht immer – folgendermaßen verhält: Wenn wir zu einem Kind­heitstrauma gelangen und es liegt etwas vor, was offensichtlich die Ursache bildet einer gegenwärtigen Problematik, so scheint das oft die Reaktivierung eines noch früheren Traumas zu sein, das man aus einem früheren Leben mitgebracht hat. In solch einem Fall ist es wichtig zu untersuchen, wo das entsprechende Trauma seinen Ursprung hat und sich nicht mit dem Kindheitstrauma in diesem Leben zufriedenzugeben.

Ich spreche viel von Traumata. Das hängt mit folgender Einsicht zusammen: Hat jemand heute ein Problem, so steckt dahinter ein mehr oder weniger unangenehmes bis schreckliches Erlebnis, wenn es überhaupt eine Ursache hat in einem Erlebnis in der Ver­gangenheit. Angenehme und erfreuliche Erfahrungen verursachen keine Probleme. Gehen wir also von einem Problem aus, so gelan­gen wir logischerweise zu einem ziemlich schlimmen Erlebnis. Es geht dann darum, dieses bewusst zu machen und es erneut zu durchleben, auch die auftretenden Gefühle nochmals durchzuma­chen und das Ganze anschließend loszulassen. Wenn man es sich nur anschaut, gewinnt man zwar eine Erklärung für die Problema­tik, sie wird damit jedoch nicht überwunden, sondern bleibt weiter bestehen.

Wenn ich selbst nach der Methode von Bryan Jameison Rück­führungen durchführe, so gehen wir dabei von einem aktuellen Problem des betreffenden Menschen aus. Zunächst wird in Vorge­sprächen geklärt, welcher Art das Problem ist; wie der Betreffende es erlebt, was er dabei empfindet, ob es schon in der Kindheit vorhanden war oder erst später im Leben auftauchte und solche Dinge. Anschließend beginnen wir die Rückführung. Die Vorge­hensweise oder Technik von Bryan Jameison ist erstaunlich einfach. Es geht zuerst einmal darum, den Körper zur Ruhe zu legen -nicht um einen hypnotischen Zustand zu erzeugen, sondern um den heutigen Körper möglichst ganz zu vergessen und sich in der Folge umso mehr in dem Körper wieder zu erleben, den man frü­her einmal hatte. Um nun den eigenen gegenwärtigen Körper zur Ruhe zu legen, kann man sich die Vorstellung bilden, dass man Schalter ausschaltet. Das klingt schrecklich technisch für manche Leute, ist aber als Symbol uns allen heute sehr vertraut, da wir seit unserer Kindheit mehrmals am Tag zu diesem und jenem elektri­sche Schalter verwenden. Dem unbewussten Ich ist sofort klar, was es bedeutet, etwas ein- oder auszuschalten. Wenn der Körper nun auf diese Weise zur Ruhe gekommen ist, begibt man sich auf eine andere Ebene, geht in der Vorstellung zum Beispiel eine Treppe hinauf oder fährt mit einem Aufzug auf eine andere Etage. Es gibt durchaus verschiedene Wege, uns dahin – auf jene Ebene – zu ver­setzen, die dem Bereich entspricht, wo unsere Erinnerungen an frühere Existenzen gleichsam lagern. Ich spreche jetzt von frühe­ren Leben oder Existenzen. Die Frage, ob es sich wirklich um sol­che handelt oder nicht, ist selbstverständlich eine wichtige Frage. Ich bin mir dessen ganz bewusst. Allerdings bin ich überzeugt davon, dass es sich meistens, nicht immer, tatsächlich um frühere Existenzen handelt.

Wir kommen, wenn wir die genannte Ebene aufsuchen, in den meisten Fällen ziemlich direkt zurück zur Ursache der zuvor be­zeichneten Problematik. Die zurückgeführte Person gelangt oft recht bald in eine Situation, wo sie etwas Schlimmes erlebt, außer­ordentlich unangenehme Gefühle hat, und sie soll nun diese Ge­fühle wieder erleben und sie anschließend loslassen. Darin liegt das Befreiende. Hat jemand z.B. eine furchtbare Hundeangst, so taucht vielleicht ein Bild auf von jemandem, der von einem Hund getötet wird. Der Betreffende hat den deutlichen Eindruck, dass er derje­nige war, der von dem Hund getötet wurde, er schaut sich die Szene jedoch nur an und behält seine Angst. Er weiß jetzt nur: Daher kommt meine Hundeangst. Sie ist jedoch noch da. Wenn er aber innerlich in die entsprechende Situation hineingehen und die­se Person gleichsam sein kann, die von dem Hund angegriffen wird, deren panische Ängste und die Schmerzen von den Bissen fühlt und durch dies alles hindurchgeht, und erlebt, wie er den Körper verlässt und über diesem als Seele schwebt, den toten Kör­per unter sich liegen sieht, dann verlassen ihn Angst und Schmerz. Dann ist die Chance groß, dass er nachher die Hundeangst nicht mehr hat.

Die gesamte Rückführung dauert meist ungefähr vier bis vierein­halb Stunden. Aber bereits nach zwanzig, dreißig Minuten gelangt man oft schon zu dem Trauma, das für das aktuelle Problem Urtrauma ist. Der eigentlich therapeutische Prozess geschieht jedoch danach und nimmt hier erst seinen Ausgang.

Manche Leute hoffen auf die schnelle und billige Lösung: Ich möchte jetzt frei werden von meinem Problem, aber ich will nichts dabei fühlen! Und das geht nicht. Das müssen wir uns klar machen und darauf achten, dass dort nicht »geschwänzt« wird, wo etwas Traumatisches auftritt, sondern dass da hineingegangen wird. Sonst wird die Gelegenheit verpasst, die belastende Problematik wirklich hinter sich zu bringen.

Es ist also sehr wesentlich, dass die Gefühle durchlebt und dann losgelassen werden. Früher, als mit den therapeutischen Rückfüh­rungen erst begonnen wurde, da war dies noch nicht so im Bewusstsein der Therapeuten. Manchmal schreckte man davor sogar zurück. Klienten gerieten z.B. während einer hypnotischen Rück­führung in schreckliche Erlebnisse hinein, und es kam vor, dass der Therapeut selbst Angst bekam und den Betreffenden schnell her­ausholte aus dem Trauma. Dass so etwas schlimme Nachwirkun­gen haben kann, ist nicht verwunderlich. Das war ein Fehler, doch man verstand es damals nicht besser.

In Fällen, wo ich mir als Therapeut die Frage stellen muss, wie ich z.B. mit einer schweren traumatischen Situation angemessen umgehen kann, ist es besser als mittendrin abzubrechen, die An­weisung zu geben: Geh jetzt weiter, geh dorthin, wo alles vorbei ist. Dann kann der Klient die traumatische Situation hinter sich lassen, die Gefühle verlieren sich. Er wird sich dann entweder noch auf dem Weg durch jenes frühere Leben befinden, oder er hat dieses, wenn das traumatische Ereignis damals tödlich war, bereits verlassen. Vielleicht empfindet er jetzt aus der Perspektive der Seele, die den Körper verlassen hat. Er hat das traumatisierende Geschehen hinter sich. Auch das zu erkennen und zu erleben – nun, in diesem Augenblick: es ist vorbei – auch das ist befreiend. Am besten ist es, Schritt für Schritt durch das Erlebnis zu gehen und die auftreten­den Gefühle wahrzuhaben und zuzulassen, dann werden wir sie wirklich auflösen.

Bryan Jameison und ich verwenden bei unserem Vorgehen – eine hilfreiche Ergänzung der allgemeinen Rückführungstechnik – ei­nen inneren »Helfer«. Dieser steht als mehr oder weniger symboli­sche Gestalt für die Begegnung mit dem eigenen unbewussten Ich. Diesem begegne ich im inneren Bild, in ihm macht sich das unbe-wusste Ich gleichsam vor mir sichtbar. So kann ich in konkreter und direkter Form mit meinem unbewussten Ich sprechen. Und dann kann mir dieses tatsächlich sehr dabei helfen, meine Gefühle loszulassen. Zum Beispiel entzündet der innere Helfer ein Feuer. Ich gehe erneut dorthin zurück, wo ich von dem Hund zerfleischt werde, der Hund beißt mich, ich gerate in größte Panik – ich neh­me sie mit zum Helfer und dieser hilft mir, sie ins Feuer zu werfen. Die Panik verbrennt, sie verlässt mich. Ich gehe noch einmal zu­rück, es ist nur noch ein bisschen Panik übrig geblieben. Auch mit ihr gehe ich zum Helfer: Ins Feuer damit, verbrennen! Noch ein drittes Mal begebe ich mich in die ehemals so schreckliche Situation zurück – keine Panik mehr! Der Hund beißt mich, gut, macht nichts! Keine Panik! Das ist ein Kriterium dafür, dass es losgelassen ist. Das Gleiche geschieht auch mit körperlichen Schmerzen, mit allem Schlimmen und Erschreckenden, was auftreten mag.

Um zur Begegnung mit dem »Helfer« zu gelangen, verlässt man die Ebene des Wiedererlebens der Vergangenheit und betritt eine andere Ebene, wo sich der Helfer befindet. Das oben Geschilderte kann auf vielerlei Art geschehen. Vielleicht bittet man auch den Helfer, im Boden ein Loch voller Licht zu erzeugen, das wie ein Lichtschacht tief in die Erde hineinreicht. Wieder kehrt der Klient zurück zu dem traumatischen Geschehen und in diesem zum Hö­hepunkt seiner negativen Gefühle und trägt diese anschließend zum Helfer. Dieser hilft ihm nun, sein Gefühl loszulassen, sodass es in das geschaffene Lichtloch fällt und darin verschwindet. Dies erfolgt wiederholt, wie bereits geschildert. Eventuell muss dieser Vorgang auch mit weiteren Gefühlen vollzogen werden, die wäh­rend des Prozesses hinzukommen und zunächst von dem ersten und stärksten Gefühl überlagert waren. Früher ließ man den Klien­ten oft viele Male das Trauma durchleben, bis die dabei auftreten­den Gefühle verschwunden waren. Das konnte oft zeitraubend und anstrengend, ja belastend sein für die betreffenden Personen. Durch das eben geschilderte, neue Vorgehen gelingt es viel leichter und schneller, die schrecklichen Gefühle loszulassen und eine Be­freiung von ihnen zu erreichen.

Solange die Gefühle nicht losgelassen sind, haben wir die Befrei­ung noch nicht erreicht. Die entsprechenden Gefühle nicht zuzu­lassen, heißt, sie zu behalten, weiter mit uns durchs Leben zu tra­gen als Ballast in der Seele, bis wir irgendwann einmal doch den Mut finden sie anzuschauen, statt sie weiter zu verdrängen. Erst dann können wir sie loslassen. Wesentlich ist also, dass man als Therapeut nicht zurückschreckt vor den Gefühlserlebnissen des Klienten, und dass der Klient selbst nicht ausweicht vor den eige­nen Gefühlen, sondern dass man schaut, dass er da hindurch­kommt, dass man ihm mit sanften Mitteln über die Hürde hinweg­hilft, wenn er sich zuerst einmal dagegen sträubt.

Im weiteren Verlauf der Therapie ist dann zu klären, ob es noch andere traumatische Erlebnisse (in einem anderen Leben, in der Kindheit, evtl. im Mutterleib) gibt, die ebenfalls zur untersuchten Problematik beigetragen haben. Sollte dies der Fall sein, so arbeiten wir auch mit ihnen auf die angedeutete Weise. Wie bereits erklärt, sind es nicht die schönen Erlebnisse, die Probleme verursachen. Trotzdem kann es sinnvoll sein, zu einem Leben zurückzugehen, in dem eine ähnliche Situation als unproblematisch und positiv erlebt wurde, um sich bewusst zu machen, dass dies auch heute so sein kann.

Für jedes aufgetauchte frühere Leben wollen wir wissen, ob da­mals Personen dabei waren, die der Klient aus seinem heutigen Leben kennt (als neue Inkarnationen derselben Seelen). Handelte es sich damals um ein Täter-Opfer-Verhältnis, so ist heute die Versöhnung mit jener Seele ein wichtiger Schritt zur endgültigen Lö­sung der Problematik. Was wir nachtragen, bindet uns weiterhin an unser Problem.

Wenn man nun den beschriebenen therapeutischen Weg gehen will, so bekommt man es immer wieder mit unterschwelligen Wi­derständen zu tun. Diese muss der Therapeut kennen. Der Klient will in solchen Fällen unbewusst einiges nicht wissen bzw. nicht wahr haben. Oder er weigert sich unbewusst, ein bestimmtes Ge­fühl zuzulassen. Es erscheint ihm dann sozusagen die Pille bitterer als die Krankheit selbst. Und es entsteht in ihm eine Haltung, die sich in die Worte fassen lässt: »Wenn ich mich erst darauf einlassen muss, verzichte ich lieber auf die Lösung meines Problems. Dann darf es besser beim Alten bleiben.« Dabei mitzuhelfen, Widerstän­de gegen die eigene Befreiung zu erkennen und zu überwinden, ist eine der zentralen Aufgaben des Therapeuten, sowie darüber hin­aus zu erkennen, wenn es sich in seltenen Fällen einmal darum handelt, ein altes Problem besser ruhen zu lassen, da die Zeit noch nicht reif dafür scheint, es wirklich lösen und überwinden zu können.

In einigen Fällen kann der Eindruck entstehen, dass der Klient von der Seele eines Verstorbenen belästigt wird, die sich an ihn klammert, oder dass er sozusagen Gegenstand des Angriffs einer negativen Wesenheit ist, was schlimmer ist, allerdings auch seltener vorkommt. Liegt so etwas vor, so ist es sehr wichtig, dass der Rück­führende in der Lage ist, dies zu erkennen und damit umzugehen. Der Zustand, eine fremde Seele bei sich zu tragen, ist nicht derselbe wie die bekanntere »Besessenheit«. Er wurde bereits im Mittelalter als »circumsessio« (lat., etwa »Umsessenheit«) bezeichnet, zur Un­terscheidung von »possessio« (Besessenheit).

Manche Seelen sind nach dem Tode verwirrt und verloren. Sie hatten nicht erwartet, dass sie nachher noch existieren würden, und geraten in völlige Verwirrung darüber, dass dies nun doch der Fall ist. Es zieht sie zu einem Licht hin-, sie wissen jedoch nicht, dass es sich um die Lichtwelt handelt-, und die betreffenden Seelen wer­den in solchen Fällen oft von der Furcht befallen, dass es darin mit ihnen endgültig zuendegehen würde. Es kann auch sein, dass eine verstorbene Seele während des zurückliegenden Lebens das Lü­genmärchen von der ewigen Verdammnis in sich aufgenommen und geglaubt hat, das ja einen blasphemischen Widerspruch zur unermesslichen Liebe Gottes darstellt. Nun lebt sie in der Über­zeugung, dass sie vom Licht aus in die Hölle geschickt werde. See­len, die solches durchmachen, versuchen auch als Verstorbene noch verzweifelt, im Bereich der materiellen Welt zu bleiben. Und dies gelingt sozusagen am ehesten, wenn sie sich an einen noch auf der Erde lebenden Körper klammern können.

Der Rückführende muss auch erkennen können, wann es sich tatsächlich um ein früheres Leben handelt und in welchen Fällen der von ihm Rückgeführte ein sogenanntes Symboldrama durch­macht, um im Falle des letzteren dieses richtig auszuwerten.

Wird ein in der Rückführung aufkommendes Gefühl nicht los­gelassen oder erst gar nicht zugelassen, so hat dies manchmal die Folge einer Art Anfangsverschlimmerung der Problematik nach der Rückführung. Diese wird in dem Fall in den Tagen, die auf die Rückführung folgen, als schlimmer erlebt, als sie vorher war. Nach ungefähr einer Woche ist dieser Effekt jedoch wieder abgeklungen. Man kennt dann zwar die Ursachen der Probleme, diese sind je­doch noch vorhanden. Die anfängliche Verschlimmerung ist vor­über, aber das Problem ist nicht gelöst. Wenn man den therapeuti­schen Prozess bei einem Widerstand abbricht, kann dieselbe kurz­fristige und vorübergehende Nachwirkung auftreten. (Es kann vorkommen, dass ein unbewusster Widerstand zu stark ist, um überwunden werden zu können – dann sind allerdings solche Nachwirkungen oft unvermeidlich.)

Die hiermit gegebene Übersicht über die Entstehungsgeschichte sowie einige Schwerpunkte und Grundzüge der Reinkarnationstherapie mögen im vorliegenden Zusammenhang genügen. Natür­lich gibt es eine Reihe weiterer Aspekte, die hier unerwähnt bleiben müssen. Für ausführlichere Bekanntmachung mit dem Thema ver­weise ich auf mein Buch Rückführung in frühere Leben. Emotiona­le Befreiung durch Reinkarnationstherapie.1

Rückführungen haben selbstverständlich auch einen Einfluss auf unseren weiteren Lebensweg – insbesondere auf Weltanschauung und Lebensweise. Falls uns nach dem Tode eine Frage gestellt wer­den sollte, so wäre es ganz sicher nicht die: »Wie oft bist du in die Kirche gegangen?« – und auch nicht die: »Was hast du in deinem Leben erreicht, was hast du erworben?« Viel eher wäre es wohl eine dieser Art: »Wie viel Liebe hast du gelebt und wo hast du in der Liebe versagt?« Hierbei wird von uns nichts Unmenschliches er­wartet, sondern nur, dass wir unser Bestes getan haben. Mehr als das kann niemand tun. Das Rückführungserlebnis kann uns auch dazu verhelfen, auf die letztere Frage eine klarere und bessere Ant­wort geben zu können.